Kieferzysten sind Zysten, die sich in dem Kieferknochen selbst oder in dem umliegendem Weichteilgewebe (Muskeln, Bindegewebe) befinden. Die meisten Betroffenen haben keine Beschwerden und erfahren erst von ihren Kieferzysten als Zufallsbefund bei einem Röntgenbild. Eine Zyste kann man sich als Hohlraum in einem Knochen oder einem anderen Gewebe vorstellen, der normalerweise dort nicht vorhanden sein sollte.
Sie wird durch eine Zystenwand, einer Kapsel oder einer dünnen Weichteilhülle von dem umliegenden Gewebe abgetrennt und hat meist einen flüssigen oder breiig-zähflüssigen Inhalt. Dieser Inhalt wird oft von Zellen, die sich in der Zystenwand befinden, produziert. Durch die ständige Produktion von Zystenflüssigkeit und dem fehlendem Abfluss wächst die Zyste und übt Druck auf das benachbarte Gewebe aus. Man unterscheidet echte Zysten von Pseudozysten.
Echte Zysten besitzen an der inneren Zystenwand eine Schicht aus Epithelzellen (eine spezielle Zellart, die auch an den Oberflächen des Körpers zu finden ist, wie z.B. an der Haut, an den Schleimhäuten, im Darm). Pseudozysten haben keine Epithelschicht sondern werden, wenn überhaupt, nur durch eine Kapsel aus Bindegewebe abgegrenzt. Kieferzysten sind im Normalfall gutartig, wachsen nur langsam, verdrängen aber das umliegende Gewebe und können so zu Beschwerden führen. Im Oberkiefer sind sie häufiger zu finden als im Unterkiefer.
Kieferzysten treten gehäuft im mittleren Lebensalter auf (zwischen 20. und 50. Lebensjahr), Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen.
Eine Kieferzyste kann sich aus verschieden Geweben entwickeln. Oft hat die Person schon eine genetische Veranlagung zur Ausbildung von Kieferzysten. In den meisten Fällen nimmt sie aus Zahngewebe selbst ihren Ursprung und wird dann als odontogene Zyste bezeichnet. Es gibt aber auch Zysten die aus dem umliegendem Gewebe entstehen und folglich nicht-odontogene Zysten sind.
Odontogene Zysten (also aus Zahngewebe entstanden) werden meistens durch chronische Entzündungen an der Wurzelspitze eines Zahns hervorgerufen. Diese Kieferzysten werden radikuläre Zysten genannt und machen 80% der Gesamtheit der Kieferzysten aus. Chronische Entzündungen an der Wurzelspitze können z.B. durch absterbende Zähne oder durch Wurzelbehandlungen entstehen. Durch die Entzündung kommt es zur Reizung der Wurzelhaut, von der aus sich dann eine Zyste entwickeln kann.
Ein seltenes Krankheitsbild sind die Gingivazysten (Gingiva = Zahnfleisch). Auch sie entstehen sehr früh durch kleine Absprengungen der so genannten Zahnleiste. Meist treten sie am Unterkiefer, bevorzugt in der Nähe der Eckzähne oder der vorderen Backenzähne auf. Die Gingivazyste kann man durch ihre relativ oberflächliche Lage im Zahnfleisch zum Teil mit bloßem Auge als kleinen, festen Buckel im Zahnfleisch sehen oder tasten.
Die Keratozyste oder auch Primordialzyste genannt, entwickelt sich aus der Zahnanlage, noch bevor sich der Zahn entwickeln konnte. Sie findet sich dann genau an der Stelle, an der eigentlich der Zahn wachsen sollte. Die Keratozyste neigt zu Verhornungen und kommt auch nach Entfernung häufig wieder. Die Keratozyste ist auch ein Teil des Krankheitsbildes „Gorlin-Goltz-Syndrom“. Eine sehr seltene Krankheit, bei der es neben den Keratozysten auch zu Fehlbildungen im Gehirn und im Skelett und zu Hautbasaliomen kommt.
Nicht-odontogene Kieferzysten entstehen aus dem zum Kieferknochen benachbartem Gewebe. Nasopalatine Zysten finden sich mittig im Gaumen und können dort zu Problemen führen. Globulomaxilläre Zysten führen häufig durch die räumlich Nähe zu Kieferhöhle zu Einengungen und Zahnfehlstellungen. Nasolabiale Zysten oder Naseneingangszysten kommen, wie der Name schon sagt, in der Nähe der Nase zu liegen.Im Kiefer kommen auch Pseudozysten vor, also Zysten ohne spezielle Kapsel oder Umhüllung, sondern einfach nur ein Hohlraum im Knochen. Wie diese Knochenzysten entstehen, ist nicht bekannt.
Kieferzysten bleiben lange Zeit symptomlos. Die meisten werden nur durch Zufall bei einer Röntgenaufnahme des Kiefers oder bei einer Zahnoperation entdeckt. In wenigen Fällen machen sich Kieferzysten durch Schmerzen bemerkbar, die vor allem durch den Druck auf das umgebende Gewebe entstehen. Manche Patienten klagen auch über ein Druckgefühl im Bereich der Kieferknochen oder über ein dumpfes, taubes Gefühl an den entsprechenden Zähnen. Das sind alles allerdings sehr unspezifische Symptome, die auch bei anderen Erkrankungen im Mund- oder Zahnbereich auftreten können und selten sofort zur richtigen Diagnose leiten.
Erst im späten Stadium, wenn die Kieferzysten schon sehr groß sind, kann es zu markanten Vorwölbungen im Knochen kommen. Drückt man mit dem Finger auf diese Auftreibungen, kann man ein deutliches Knistern hören, das so genannte Pergamentknistern. Dies kommt dadurch zustande, dass der Kieferknochen aufgequollen ist und sich sogar die Kompakta, das ist der stabile Teil des Knochens, ausdünnt und eindrückbar wird.
Im Verlauf und ohne Therapie kann es sogar zu richtigen Knochenverformungen und Entstellungen des Gesichtes kommen. Auch die Schäden auf die benachbarten Strukturen, Gewebe etc. bestimmen das Bild des fortgeschrittenen Stadium: Schäden an Nerven, die in der Nähe verlaufen, können zu Lähmungserscheinungen oder Sensibilitätsausfällen führen. Infektionen und Abszesse können sich bilden und stellen eine Gefahr für eine Sepsis oder Gehirnhautentzündung dar. Durch den Substanzverlust des Knochens verliert er an Stabilität und es droht ein Kieferbruch. Im Normalfall muss es aber nicht zu diesen ernsthaften Komplikationen kommen, da die Kieferzysten spätestens bei einer Röntgenaufnahme diagnostiziert und dann auch behandelt werden können.
Gerade im Anfangsstadium, wenn die Kieferzysten noch keine oder nur wenige Beschwerden bereiten, lässt sich die Diagnose fast nur durch ein Röntgenbild stellen.
Am besten eignet sich dazu ein Panoramaschichtbild, bei dem der gesamte Kiefer dargestellt wird. In diesem kann man dann rundliche, scharf begrenze Osteolysebereiche (das sind Bereiche, in den sich der Knochen auflöst) erkennen, die im Oberkiefer eher rund und im Unterkiefer eher oval sind und dann weiter abgeklärt werden sollten. Je nach Zyste erkennt man, dass z.B. gar kein Zahn vorhanden ist (bei Keratozyste), die Wurzelspitze in die Zyste hineinragt (bei radikulärer Zyste) oder, dass die Zahnkrone von der Zyste umgeben ist (bei follikulärer Zyste).
Falls die Zyste bereits entzündet ist, ist es möglich, dass keine scharfen Grenzen mehr zu erkennen sind. Die genaue Lokalisation des Zyste im Kiefer lässt sich durch weitere bildgebende Verfahren bestimmen. Zum Einsatz kommen Ultraschall (oberflächliche Zysten lassen sich gut darstellen, bei tieferen gibt es durch den darüber liegenden Knochen meist Probleme), Computertomographie (bei der die Ausdehnung der Zyste in allen drei Ebenen festgestellt werden kann) und die Szintigraphie (bei der eine Art Kontrastmittel gegeben wird, das sich dann z.B. in entzündeten Geweben anreichert und danach bei einer Ganzkörperaufnahme dargestellt werden kann). Wenn die Ausdehnung und die betroffenen Strukturen bekannt sind, wird oftmals noch eine Gewebeprobe entnommen. Bei dieser wird histologisch (also unter dem Mikroskop) abgeklärt, um welchen Zelltyp es sich bei der Zyste handelt und aus welchem Gewebe sie ursprünglich stammt.
Neben den verschiedenen Arten von Kiefer- oder Knochenzysten können auch einige Tumore auf dem Röntgenbild ein ähnliches Bild (scharf begrenzt, ostolytisch) zeigen. Die Tumore zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Normalfall gutartig sind oder nur verdrängend wachsen und keine Metastasen setzen.
Entzündete Zysten können durch die unscharfe Begrenzung leicht mit einer Osteomyelitis (Knochenentzündung) oder auch mit malignen Tumoren verwechselt werden.
Je nach Aufnahme können auch normale Strukturen des Kiefers mit Kieferzysten verwechselt werden.
Jede Zyste sollte vom Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen entfernt werden, selbst wenn sie bisher keine Beschwerden bereitet hat.
Durch die Komplikationen, die ohne Therapie auftreten können und die immer vorhandene Gefahr, dass vielleicht doch ein bösartiger Tumor dahinter steckt, ist fast immer eine Indikation zur Therapie gegeben.
Als Therapie kommen nur operative Maßnahmen, die allerdings oft unter örtlicher Betäubung gemacht werden, zum Einsatz. Dabei kommt entweder die komplette Entfernung der Zyste (Zystektomie) oder nur das Einschneiden der Zyste (Zystostomie) in Betracht. Eine Zystektomie kann bei kleineren Zysten (unter 2 cm) angewendet werden, wenn ihre Lage es erlaubt. Nach der Entfernung kann bei größeren Defekten im Knochen der Hohlraum mit Knochenersatzmaterial ausgefüllt werden, welches sich mit der Zeit auflöst und durch körpereigenen Knochen ersetzt wird. Zur Entzündungsvorbeugung wird noch ein antibiotisches Puder in den Hohlraum gegeben. Dadurch, dass nach der Entfernung der Zyste erstmal ein Hohlraum im Knochen vorhanden ist, darf der umgebene Knochen nicht zu dünn sein, da sonst die Gefahr eines Bruchs zu groß wäre. Es sollte auch keine Zahnwurzel (eines lebenden Zahns) direkt mit der Zyste in Verbindung stehen, da dieser absterben könnte.
In diesen Fällen und bei größeren Zysten wählt man eher die Methode der Zystostomie:Bei dieser wird durch Einschneiden der Zyste, ein künstlicher Abfluss für die Zystenflüssigkeit geschaffen. Die Flüssigkeit kann nach außen ablaufen, in der Zyste sinkt der Druck. Dadurch wächst die Zyste nicht weiter und schrumpft sogar mit der Zeit. Im besten Falle heilt sie so ganz aus. Ein Vorteil ist, dass der Eingriff im Vergleich zu Zystektomie relativ klein ist und sich so die Schmerzen und die Schwellung im Gesicht nach der OP in Grenzen halten.Ein Nachteil ist, dass relativ lange ein Antibiotikum gegeben werden muss, damit durch die Öffnung keine Bakterien in den Zystenrest einwandern und eine Entzündung verursachen. Das ist die Methode der Wahl bei großen Zysten, bei entzündeten Zysten oder wenn die Lage der Zyste eine komplette Entfernung nicht erlaubt. Wie bei jeder OP können natürlich Komplikationen wie Nachtblutungen, verstärkte Schwellung des Gesichts oder des Mundes, Entzündungen oder Verletzungen am Nachbargewebe auftreten.
Kieferzysten wachsen langsam und stellen im Anfangsstadium meist keine Gefahr für die Zähne dar. Wachsen sie aber weiter, schädigen sie mehr und mehr das umliegende Gewebe und können z.B. zu Schäden und Fehlstellungen an den Zähnen führen. Nicht selten ist sogar ein Zahnersatz notwendig. Lässt man Kieferzysten nicht operieren, kann es zu schwerwiegenden Komplikationen, wie z.B. zu Kieferbrüchen oder Entzündungen kommen. Kieferzysten sind aber in den allermeisten Fällen nicht maligne, also nicht bösartig. Sie entwickeln keine Metastasen und der Schaden, den sie anrichten, beschränkt sich auf das umliegende Gewebe. Lässt man sich die Kieferzyste operativ entfernen, bleibt immer die Gefahr eines Rezidis, d.h. dass sich die Kieferzyste erneut an der Stelle bildet. Dies kann dadurch passieren, dass kleine Gewebereste in der Knochenhöhle verbleiben, aus denen sich dann eine neue Zyste entwickeln kann. Diese müsste dann erneut entfernt werden.
Viele Patienten fürchten sich vor dem großen Loch, welches nach der Zystenentfernung im Knochen verbleibt. Der Körper braucht ca. 2-5 Jahre um den Substanzdefekt wieder mit neuem Knochen zu beheben. Danach sieht man nichts mehr (es sei denn, es hat sich eine neue Zyste entwickelt).
Da Kieferzysten in 80 Prozent der Fälle von Entzündungen an der Zahnwurzel ausgehen (radikuläre Zyste) ist die beste Prophylaxe, sein Gebiss gesund zu halten, durch gesunde Ernährung, richtige Zahnpflege und regelmäßige Zahnarztkontrollen. Wenn man bemerkt, dass man Schmerzen oder ein Druckgefühl im Kiefer hat, die auch nach längerer Zeit und nach Ausschluss anderer Möglichkeiten (Karies) anhalten, sollte man sich nicht davor scheuen, ein Röntgenbild vom Kiefer anfertigen zu lassen. Nur so können Kieferzysten diagnostiziert oder ausgeschlossen werden. Steht die Diagnose fest, wird in einem kleinen Eingriff unter örtlicher Betäubung die Zyste entfernt. Normalerweise ist das ein relativ unkomplizierter Eingriff, im Einzelfall wird der Mund-Kiefer-Gesichtschirurg aber auf mögliche Komplikationen eingehen.
Nach der Operation besteht immer die Gefahr eines Rezidives. Deswegen sollten Betroffene regelmäßig zur Nachkontrolle gehen, um das erneute Auftreten rechtzeitig zu bemerken.
aktualisiert am 21.10.2016